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Franziska Scheider ein Porträt von Andreas Fritsche

"neues deutschland" 8.August 2919

Wenn Franziska Schneider am

1. September in den Landtag gewählt wird, will sie monatlich 1527 Euro von ihren Diäten an Men-

schen aus ihrem Wahlkreis abgeben, die in soziale Not geraten sind.

 

Von Andreas Fritsche

 

Fahrräder, bei denen die Bremshebel aus Kunststoff anstatt aus Metall sind, taugen in der Regel nicht viel. Franziska Schneider hat so einen alten Drahtesel, der nicht sehr teuer gewesen sein kann. Am rechten Bremshebel ist bereits ein Stückchen abgebrochen. Doch die 33-Jährige hängt an dem Rad. Sie hat es mit zehn Jahren von ihrer Mutter geschenkt bekommen. Ihr Vater hat den Sattel so

hoch gestellt, wie es nur geht. Doch der Lenker sitzt zu tief. Höher lässt er sich nicht einstellen. Darum sitzt Franziska Schneider ziemlich unbequem, wenn sie in die Pedale tritt. Aber sie will kein neues Rad. »Es ist eine Möhre, aber ich liebe es«, sagt die junge Frau. Sie liebt auch ihr rotes T-Shirt und trägt es, obwohl es am Bauch ein kleines Loch hat.

So ist Franziska Schneider. Was sie hat, das genügt ihr. Sie möchte ihren Lebensstil nicht ändern. Muss sie aber eventuell. Denn bei der Brandenburger Landtagswahl am 1. September kandidiert sie für den Landtag. Sie steht auf Platz 13 der Landesliste der Linkspartei, und sie tritt direkt an im

Wahlkreis 31, zu dem ihre Heimatstadt Erkner gehört. Außerdem umfasst der Wahlkreis die Gemeinden Hoppegarten, Neuenhagen, Schöneiche und Woltersdorf.

Renate Adolph hat diesen Wahlkreis 2004 und 2009 für die LINKE gewonnen. Aber das waren andere Zeiten. Hartz IV erregte die Gemüter und führte zu Rekordergebnissen für die brandenburgische LINKE. Außerdem sorgten die überhöhten Abwassergebühren in Brandenburg für Aufregung, und das war das Spezialthema von Renate Adolph.

Michael Voges, Vorsitzender der Basisorganisation in Erkner, sieht nüchtern nur eine ganz kleine Chance für Franziska Schneider, den Platzhirsch von der SPD, Agrarminister Jörg Vogelsänger, zu besiegen. Allerdings lief es für die LINKE gegen den Landestrend in Erkner sehr gut bei der Kommunalwahl am 26. Mai. Knapp über 30 Prozent erzielte die Partei, und Michael Voges bildet jetzt gemeinsam mit Franziska Schneider und weiteren fünf Frauen, darunter seine eigene, die Linksfraktion im Stadtparlament. Auch in Hoppegarten sieht es gut aus. Dort stellt sich Bürgermeister Karsten Knobbe (LINKE) am 1. September den Bürgern zur Wiederwahl. Der Amtsbonus könnte ihm helfen und ein bisschen auf Franziska Schneiders Landtagsergebnis abfärben.

Es gibt tatsächlich eine Prognose von election.de, dass Schneider vor ihren Mitbewerbern Erdmute Scheufele (Grüne) und Jörg Vogelsänger (SPD) landen könnte. Aber mit diesen Hochrechnungen aus alten Wahlergebnissen und aktuellen Umfragewerten ist es so eine Sache.

»Wir kämpfen«, sagt Schneider Listenplatz 13 ist nicht schlecht, aber keineswegs sicher.

Die LINKE bewegt sich landesweit bei 14 bis 17 Prozent. In Brandenburg entspricht ein Prozent ungefähr einem Sitz im Landtag. Doch die Direktmandate gehen vor, und es sieht so aus, als
könnten drei bis vier Genossen, die nicht vor Schneider auf der Landesliste stehen, ihren Wahlkreis gewinnen.

Dann müsste sich Schneider keine Gedanken machen, was es für sie bedeutet, nicht mehr nur Mitarbeiterin der Landtagsfraktion zu sein, sondern Abgeordnete. Sie macht sich aber Gedanken. »Ich bin mir bewusst, dass sich mein Leben verändern würde. Ich hätte mehr Verantwortung – und auch mehr Geld.«

Der größeren Verantwortung will sie sich stellen. Doch ihr widerstrebt die Vorstellung, dass sich ihr Charakter ändern könnte, weil sie mehr Geld auf dem Konto hat. Darum hat sie sich vorgenommen, mit dem Durchschnittsverdienst eines Facharbeiters auszukommen, netto nicht mehr als 2000 Euro für sich zu behalten. Mit ihrer Steuerberaterin hat sie das schon durchgerechnet. Auf 8388 Euro im Monat belaufen sich die monatlichen Einkünfte eines Landtagsabgeordneten in Brandenburg, zuzüglich 1806 Euro für die Altersversorgung und 517 Euro für die Büromiete. 850 Euro abgezogen für den Mitgliedsbeitrag und Parteispenden an die LINKE, abgezogen die Steuern und andere Aufwendungen, bleiben unter dem Strich 1527 Euro übrig, wenn Schneider für sich privat nur

2000 Euro nimmt. Diesen Betrag von 1527 Euro will die 33-Jährige an Menschen in ihrem Wahlkreis verteilen, die in Not geraten sind und schnell und unbürokratisch Hilfe brauchen – beispielsweise weil sie mit der Miete im Rückstand sind und die Zwangsräumung droht, aber das Jobcenter so schnell nicht zahlt. Schneider will dann offene Rechnungen der Bedürftigen innerhalb von 48 Stunden begleichen.
Das Modell »Helfen statt Reden« hat sie sich von Ernest Kaltenegger abgeschaut. Der war für die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) von 1998 bis 2005 Wohnungsbaustadtrat in Graz und danach bis 2010 Landtagsabgeordneter in der Steiermark. Wegen seines Engagements für bedrängte Mieter erfuhr er Zustimmung aus breiten Bevölkerungsschichten und erreichte Wahlergebnisse, die für seine Splitterpartei KPÖ sonst außerhalb jeder Vorstellung lagen. Kaltenegger hatte auch nur 2000 Euro für sich selbst behalten. Inzwischen hat er sich aus der Politik zurückgezogen. Doch drei KPÖ-Abgeordnete folgen seinem Vorbild insofern, als sie mit 2300 Euro monatlich auskommen.

Franziska Schneider will sich nun anschließen. Ihr ist nicht bekannt, dass sonst irgendwo in der Bundesrepublik ein Landtagsabgeordneter das tut. Michael Voges sagt aber, es sei eine alte kommunistische Tradition, als Politiker mit einem Arbeitereinkommen auszukommen und das übrige Geld zu spenden. So hätten es früher in der Weimarer Republik die KPD-Abgeordneten gehalten.

Was heute unter den Landtagsabgeordneten der Linkspartei weit verbreitet ist, sind neben den Spenden an verschiedene Gliederungen der Partei noch Zuwendungen an linke, soziale oder ökologische Projekte und Vereine. Das geht durchaus bei einigen so weit, dass ihre tatsächlichen Nettoeinkünfte als Abgeordnete nicht besser sind als das, was sie vorher in ihrem Beruf verdient haben – wenn sie etwa nach vielen Jahren im Schuldienst sehr gut bezahlte Lehrer waren. Ein Lehrer verdient mit einer vollen Stelle aber auch deutlich mehr als 2000 Euro im Monat.

Franziska Schneider hat keinen genauen Überblick, wie groß die soziale Not in ihrem Wahlkreis ist. Für sie steht aber fest, dass Hilfe dringend erforderlich ist. Schließlich gibt es in Erkner in Bahnhofsnähe eine Tafel, in der sich Bedürftige Lebensmittel abholen können. Es werden auch preiswerte Mahlzeiten ausgegeben. Außerdem weiß die LINKE vom Mieterverein, dass nicht wenige Einwohner Schwierigkeiten haben, ihre Wohnung zu finanzieren.
Das betrifft auch Senioren mit geringer Rente. Schneider macht sich deshalb keine Illusionen. Sie wird mit 1527 Euro im Monat die soziale Not kaum lindern können. »Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein«, bedauert sie. Um die Missstände zu beseitigen, wird ihr nichts anderes übrig bleiben, als zu versuchen, die Verhältnisse mit den klassischen Mitteln der politischen Arbeit zu ändern. Eines dieser Mittel ist, auf Missstände aufmerksam zu machen. Nicht umsonst sagt der 68-jährige Michael Voges über das Vorhaben von Franziska Schneider: »Es geht auch darum, aufzuzeigen, dass unser soziales System nicht funktioniert.«




 

Franziska und Karsten im Video

sehen Sie hier das Video

Franziska Schneider, Direktkandidatin für den Landtag

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Franziska Scheider ein Porträt von Andreas Fritsche

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